Die Last der Träume und die Qualen der Zeit
Werner Herzog:
Eroberung des Nutzlosen
334 Seiten, ISBN 3-446-20457-1, Carl Hanser Verlag München, 21,50 Euro
»Wie bei der irrwitzigen Wut eines Hundes, der sich in das Bein eines bereits toten Rehs verbissen hat und an dem erlegten Wild rüttelt und zerrt, so dass der Jäger ihn zu beruhigen aufgibt, hatte sich in mir eine Vision festgekrallt, das Bild von einem großen Dampfschiff über einen Berg - das Schiff unter Dampf sich aus eigener Kraft einen steilen Hang im Dschungel hinaufwindend«, so beschreibt Werner Herzog im Prolog jenes unvergessliche Bild des sich ächzend und wankend zur Musik von Enrico Caruso den Berg hinaufschleppenden Schiffes, und ein schönerer Vergleich lässt sich für diese wahnsinnig anmutende Idee kaum finden.
Die Dreharbeiten zu Fitzcarraldo, während jener Herzog die vorliegenden Tagebücher verfasste, ist an sich schon Stoff genug für einen Film. Die wildesten Gerüchte wurden damals kolportiert, Herzog herrsche am Drehort im tiefsten und ungangbaren Dschungel Perus wie ein Kolonialherr. Beim Lesen der damaligen Artikel fühlt man sich unweigerlich an Colonel Kurtz aus Francis Ford Coppolas Apokalpse Now erinnert. Der Regisseur wiegle die Indianer gegeneinander auf und behandle sie wie Sklaven, so schrieben deutsche Medien, von Maßlosigkeit, Demütigungen und Morddrohungen war die Rede. Doch die Realität sah anders aus: Herzog geriet mit seinem Team in die undurchdringlichen Intrigen zwischen Missionaren, Militärs, Indianern und amerikanischen Ölfirmen. Monatelange Verzögerungen waren die Folge, bis man sich endlich mit den verschiedenen Kräften arrangiert hatte. Doch das war nur eines der Probleme, der als Fitzcarraldo vorgesehene Jason Robards suchte - angeblich krank - das Weite, der Co-Star Mick Jagger hatte andere vertragliche Verpflichtungen, nicht nur einmal drohte das Projekt im Chaos zu versinken. Doch irgendwie schaffte es Herzog, den Film - inzwischen hatte er die Hauptrolle mit Klaus Kinski ebenso stimmig wie untragbar besetzt - fertigzustellen, wie genau, das fragt man sich auch noch nach dem Lesen der Tagebücher.
Diese sind wohltuend gut zu lesen, keine schnöde Anekdotensammlung, keine wilden Dompteursgeschichten, wie der einzigartige Regisseur den unberechenbaren Klaus Kinski unter Kontrolle hält. Überhaupt gerät jenes merkwürdige Bild etwas ins Wanken, das sich spätestens nach der grandiosen Dokumentation »Mein liebster Feind« einstellte, in der Werner Herzog doch recht selbstverliebt schilderte, wie er als einziger der ganzen Crew den offenbar wahnsinnigen Kinski im Zaum hielt, kaum eine Phrase hörte man öfter als »ich wusste das natürlich … «.
Nein, in »Eroberung des Nutzlosen« zeigt er sich von einer anderen Seite, überraschend wenig schreibt er über Kinski, der taucht gar nur als Randfigur auf. Pathetisch ist Herzog, das zugegebenermaßen, blumige Wendungen finden sich auch zuhauf, doch hier verweben sie sich zu einem stimmigen Ganzen. Witzig, selbstironisch, fantastisch und manchmal schlicht schön sind die Aufzeichnungen. »Der Tag still, schwül. Untätigkeit paart sich mit Untätigkeit, Wolken starren geschwängert vom Himmel, Fieber regiert, Geziefer wächst ins Riesenhafte. Der Urwald ist obszön. Alles ist Sünde, deshalb fällt die Sünde als Sünde nicht auf. Die Stimmen im Dschungel sind still, nichts regt sich, auf allem ruht ein träger, regloser Zorn«.
Doch er gefällt sich nicht nur in Stimmungsbildern aus dem Dschungel, köstlich sind auch die Spitzen gegen manche Mitwirkenden, besonders die Marotten Jason Robards, der sich tiefgefrorene Steaks aus den USA einfliegen ließ, aus Angst, er könne im »unhygienischen« Dschungel die Tuberkulose bekommen: »Robards wird heute ausgeflogen. […] ich hatte R. im Morgengrauen, eigentlich im noch fast Dunkeln, ohne sein Gebiß und mit wirren Haaren und wirren Blick durchs Camp hasten sehen, wie King Lear durch die leeren Gemächer seines Schlosses«.
Gelungen ist Werner Herzog nicht nur der Film, gelungen ist ihm auch das Tagebuch, das er lange Zeit unangetastet ließ, in Teilen schonungslose Dokumentation des Chaos, in Teilen die fiebrig-poetische Verschriftlichung eines gelebten Traumes. Und so zeigt sich Werner Herzog selbst als eine Art Fitzcarraldo, als ein »Eroberer des Nutzlosen«.
André Schwarz
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