Von André Schwarz Kritiker sein will heutzutage offenbar jeder, auf ungezählten Seiten des Internet lässt sich dieses Phänomen begutachten. Bei amazon etwa finden sich zu jedem Buch, jeder CD und jedem sonstwie gearteten Kulturgut zahlreiche „Rezensionen“, die die Werke in zuweilen abenteuerlichster Schreibung anpreisen oder ablehnen. „Ich lese das buch öfters mal, die spannende Geschichte und das dramtisch Ende zwingen mich quasi dazu!“ schreibt etwa eine sich sinnigerweise „ Anonymus“ nennende Person zu Schätzings „Der Schwarm“, dem „El Cid“ dann aber doch eine „alte Folge Flipper“ vorzieht. Das sollen also die „Strategen im Literaturkampf“ sein, die Walter Benjamin in seinen Thesen zur „Technik eines Kritikers“ postuliert? Folgt die Literaturkritik dem allgemeinen Trend, dem Aufkommen des Laien zur vollen sozialen Macht? Auf allen Kanälen sieht man den Bürger kräftig werkelnd, tanzend, singend und beim Aufbrezeln des Familienhundes. „Auch Du kannst kritisieren!“ soll die Losung sein? Mitnichten, zum Schreiben einer „anständigen“ Kritik bedarf es schon etwas mehr als ein ach so ausgeprägtes Mitteilungsbedürfnis an die dumpfe Masse. Etwas Talent beispielsweise kann nicht schaden, die Fähigkeit, einen orthografisch wie grammatikalisch einigermaßen korrekten Satz zu bilden, ebenfalls nicht. Doch pure Begabung und handwerkliches Geschick ist beileibe nicht alles. „Das Schreiben von Kritiken ist lernbar“, so lautet die Kernthese von Stephan Porombkas „Kritiken schreiben“ – und in der Tat: Übung, eine gesunde Neugier und das Ablegen von Scheuklappen tragen einen nicht unbeträchtlichen Teil zur Genese eines Kritikers bei. Mit offenen Augen und Ohren durch das Leben gehen, Journale führen, kritisch lesen, reflektieren – ein wenig nach creative writing -Esoterik und fadem Allgemeinplatz hört sich das eine oder andere im vorliegenden „Trainingsband“ schon an, doch verbirgt sich darunter auch mancher nicht zu vernachlässigende Tipp für den angehenden Kritiker. Es ist eben nicht mehr selbstverständlich, dass man sich an einem gewissen Ethos orientiert. Das freiwillige Aneignen von Wissen, um seinen Untersuchungsgegenstand angemessen beurteilen zu können, das Buch auch zu lesen, das man rezensiert, all dies fällt immer wieder unter den Tisch. Auch an der Universität finden sich Studenten, die erschreckend wenig Ahnung von ihrem Fach und seinen kulturellen Kontexten haben. Literaturkritik-Anfänger sparen sich nur zu gerne „die genaue Auseinandersetzung mit ihrem Gegenstand. [...] Kurz gesagt: Sie haben keine Ahnung. Und sie glauben, dass man das nicht merkt. Aber so viel sei verraten: Meistens merkt man es“, so Porombka. Und so wählt er eine recht gelungene Form, den willigen Kritikern den rechten Weg zu weisen. Er zeigt zunächst, wie man es nicht macht, stellt anhand von Beispielen eine Liste der Dinge auf, die der Rezensent nicht darf: Herunterbeten von Standardphrasen aus dem Rezensionsbaukasten großer Vertreter des Fachs, ausufernde Handlungsbeschreibungen und – natürlich – „ich“ sagen. Anhand der immer wieder eingestreuten Übungen kann der Leser testen, ob er aus den vorhergehenden Erläuterungen etwas mitgenommen hat und schärft so nach und nach seinen Blick für das Wesentliche. Das zweite Kapitel, in dem Porombka das Führen eines sogenannten „Kulturjournals“ propagiert, anhand dessen der angehende Rezensent seinen Alltag und sein Denken protokollieren soll, ist etwas zwiespältig. Soll man wirklich den ganzen Tag ein Notizbuch mit sich herumschleppen, um jeden Kram festzuhalten für die Nachwelt und die eigene Bildung? Ein wenig fühlt man sich an die schon manisch erscheinende Schreib-, Notier- und Kontextualisierungswut in Rainald Goetz` Tagebuch „Abfall für alle“ erinnert. Doch im Grunde hat Porombka – auch wenn er mit seinem Kulturjournal über das Ziel hinausschießt – schon Recht. Der Kritiker muss seine Umwelt und auch das Treiben der Kollegen, die Entwicklung der Welt und der Theorie im Auge behalten, ohne Hilfestellung ist das auch für den notorischen Notizenhasser kaum möglich, auch wenn ihm – wie Porombka ebenfalls anmerkt – eine gewisse Routine durchaus hilfreich ist. Und so führt er den zukünftigen Rezensenten in den weiteren Teilen des Buches auch an die grundlegenden Dinge des Kritisierens heran: das Beschreiben und Analysieren, die Kontextualisierung und Symptomatisierung, das Pointieren und das Werten. Dies immer, ohne eine wesentliche Sache jeder guten Kritik zu vernächlässigen: Sie muss schlicht und ergreifend „gut gefügt, gut gedacht und gut gemacht“ sein. Dem „Trainingsbuch“ ist auch anzumerken, dass Porombka, seines Zeichens Juniorprofessor für Kreatives Schreiben und Kulturjournalismus an der Universität Hildesheim, aus der Praxis heraus schreibt. Immer wieder kommt er, ohne in dröge Handlungsanweisungen zu verfallen, auf seine wesentlichen Punkte zurück, wiederholt und vertieft, ohne Langweile aufkommen zu lassen.. Er scheut sich auch nicht, seinen Übungen und Beispielen ein durchaus buntes Gepräge zu geben, von der „Slayer“-Konzertkritik über die locker-libertinäre „taz“ bis hin zur allerseriösesten Kritik aus der „Zeit“ oder der „FAZ“ ist nahezu jede Spielart vertreten. Der angehende Rezensent kann sich – ebenso wie der neugierige Fortgeschrittene – Stück für Stück vorarbeiten und so das Spektrum der seriösen Literaturkritik erkunden. Der Literaturkritiker braucht also – auch das zeigt das Buch von Porombka deutlich – neben ein wenig Talent und viel Handwerk die Bereitschaft, sich mit seiner Sache auseinanderzusetzen, neugierig zu bleiben und dabei auch das Umfeld und die Kollegen nicht aus den Augen zu verlieren. Ein „Kosmologe“ soll der Rezensent sein, so Porombka. Abgeschlossen wird der Band mit einer kommentierten Bibliografie, die wider Erwarten nicht den Stand der Sekundärliteratur abarbeitet, sondern auf eine ebenso eigenwillige wie geschickte Art und Weise die Thesen und Forderungen wieder aufnimmt, um dem Benutzer einmal mehr zur Lektüre und zum Weiterdenken anzuregen. Moritz Baßlers recht eigenwilliges Buch über die Popliteratur findet sich neben Flauberts „Universalenzyklopädie der menschlichen Dummheit“, Nick Hornbys „Mein Leben als Leser“ neben Schillers „Über naive und sentimentalische Dichtung“. Ungewöhnlich zwar, aber unkonventionelles Denken sollte eigentlich zum Rüstzeug jedes Kritikers gehören. Nicht jeder kann oder besser gesagt sollte kritisieren, doch lernen kann es mit Hilfe von Stephan Porombka und eigenem Willen so mancher. Stephan Porombka: Kritiken schreiben. Ein Trainingsbuch. |